Kristen, Seuring und Stanat untersuchen Bedingungen, die den Erwerb und Erhalt der Herkunftssprache bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die selbst oder deren Eltern aus der Türkei oder der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind, beeinflussen. Betrachtet werden Schüler(innen), in den Klassenstufen 2,7 und 9. Die Daten entstammen dem Nationalen Bildungspanel (NEPS), in dem Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen in regelmäßigen Abständen getestet werden.
In der Studie wird der Einfluss folgender drei Größen auf Spracherwerb getestet: Exposure (wieviel Input erfolgt in einer Sprache?), Effizienz (wie effektiv kann dieser Input verarbeitet werden?) und Motivation (die Autor(inn)en vermuten, dass größere Motivation das Sprachenlernen begünstigt). Eine weitere Frage, die verfolgt wird ist, ob sich Fähigkeiten in der Herkunftssprache in der Generationenfolge verändern. Hierbei beziehen sie Kinder von der ersten bis zur dritten Generation mit ein.
Die Kompetenzen in den Herkunftssprachen Türkisch und Russisch wurden über Hörverständnistests ermittelt; die Einflussgröße Exposure durch Fragen zum Sprachgebrauch mit Familienmitgliedern, Gleichaltrigen und Medien; Effizienz durch die kognitiven Grundfähigkeiten (Aufgaben zum schlussfolgernden Denken); und Motivation durch Fragen zur Identifikation mit der Kultur der Herkunftsgruppe sowie der Anzahl von Besuchen im Herkunftsland. Weiterhin wurde erfasst, ob die Zielperson zum Zeitpunkt der Befragung Unterricht in der Herkunftssprache erhielt.
Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten der getesteten Kinder und Jugendlichen über Fähigkeiten in der Herkunftssprache verfügen. In der türkischstämmigen Gruppe sind diese Fähigkeiten etwas stärker ausgeprägt.Als zentraler Einflussfaktor erweist sich Exposure. Wichtig für die Entwicklung der Herkunftssprache ist also wie häufig Kinder und Jugendlichen die Herkunftssprache im Alltag nutzen. Es zeigen sich jedoch unterschiedliche Wirkungen der Gesprächspartner: in der russischsprachigen Gruppe hat die Nutzung der Herkunftssprache in der Familie einen größeren Einfluss als in der türkischsprachigen Gruppe, wo die Kommunikation mit Gleichaltrigen eine größere Rolle spielt. Die Nutzung von Medien in der Herkunftssprache ist in beiden Sprachgruppen bedeutsam, insbesondere bei den älteren Schüler(inne)n. Der Besuch des herkunftssprachlichen Unterrichts weist keinen Einfluss auf die Fähigkeiten in der Herkunftssprache auf. Allerdings wurde nur erfasst, ob die Person zum Zeitpunkt der Untersuchung den HSU besucht und nicht wie lange sie insgesamt teilgenommen hat.
Kognitive Grundfähigkeiten stehen in positivem Zusammenhang mit Fähigkeiten in der Herkunftssprache. Für Motivation ergeben sich keine einheitlichen Zusammenhänge.
In Bezug auf den Erhalt herkunftssprachlicher Kompetenz wird deutlich, dass die Kenntnisse in der Generationenfolge abnehmen, wobei der Rückgang in der dritten Generation besonders deutlich ausfällt. Weiterhin lässt sich ein stärkerer Verlust zwischen den Generationen in der russischsprachigen, als in der türkischsprachigen Gruppe beobachten.
Kristen, C., Seuring, J. & Stanat, P. (2019). Muster und Bedingungen des Erwerbs und Erhalts herkunftssprachlicher Kompetenzen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(1), 143-167.