Wie mit mehrsprachiger Realität von Kindern und ihren Familien umgegangen wird, ist immer auch abhängig von der Gesellschaft, in der sie leben und dem Sprechen über sie, das innerhalb dieser Gesellschaft verbreitet ist. Dazu gehören Vorstellungen von Mehrsprachigkeit und Sprache, die unhinterfragt in den Köpfen der Menschen existieren, und stabil sind.
Das wirkt sich auch in Bildungseinrichtungen aus, die in der Regel einsprachig geprägt sind. Argyro Panagiotopoulou hat den alltäglichen Umgang von Erzieher_innen in frühkindlichen Bildungseinrichtungen mit gelebter Mehrsprachigkeit und ihre Sichtweisen darauf herausgearbeitet.
In einem Beispiel fragt eine Erzieherin ein Kind nach der Herkunft der Mutter. „Die kommt auch aus Dortmund“, antwortet das Kind. Die Erzieherin erwidert, dass die Mutter doch noch eine andere Sprache spricht. Da die Mutter nicht einsprachig Deutsch ist, wird hier angenommen, dass sie nicht wirklich aus Dortmund/Deutschland kommen kann. Ihre Mehrsprachigkeit wird herangezogen, um Unterschiedlichkeit zwischen zwei Gruppen herzustellen: den einsprachig-deutschen und den migrationsbedingt mehrsprachigen Familien. Wenn Mama noch eine andere Sprache spricht, kommt sie ‚eigentlich woanders‘ her.
In einem weiteren Beispiel wird eine Erzieherin aus einem deutschen Kindergarten in Kanada interviewt. Ihre Einrichtung ist angegliedert an die deutsche Schule in Montreal. Die Interviewpartnerin schildert, dass die Kinder mit den Erzieher_innen Deutsch sprechen sollten, untereinander hingegen alle Sprachen sprechen dürfen. Die Vorgabe, mit Erzieher_innen Deutsch zu sprechen, begründet sie mit der Aufgabe des Kindergartens, auf die Unterrichtssprache in der deutschen Schule vorzubereiten. Wenn sie den Kindern eine Frage auf Deutsch stellt, antworten sie ihr auch auf Englisch oder Französisch. Die Erzieherin beschreibt die Sprachen der Kinder als verschiedene getrennte Sprachsysteme. Demgegenüber wird der wissenschaftliche Ansatz des „Translanguaging“ vorgestellt, der von einem dynamischen und komplexen Sprachgebrauch in den verschiedenen Sprachen, die ein Kind spricht und lernt, ausgeht. Hier werden die Sprachen nicht einzeln, sondern als eine Gesamtes gesehen.
Die mehrsprachige Wirklichkeit von Kindern wird in diesen Beispielen zu einer Abweichung von der einsprachigen ‚Normalität‘ der jeweiligen Bildungseinrichtung. Sprache ist nicht neutral und Vorstellungen über sie prägen auch das Handeln pädagogischer Fachkräfte. So kann Mehrsprachigkeit in Bildungseinrichtungen herangezogen werden, um Unterschiede zwischen Kindern herzustellen und Andersartigkeit zuzuschreiben.
Panagiotopoulou, A. (2017). Mehrsprachigkeit und Differenzherstellung in In: Diehm, I.et al. (Hrsg.) Differenz – Ungleichheit – Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 257-274.