Miranda Vervoort und Kollegen zeigen in ihrer Studie auf, dass der Anteil Migranten in einer Nachbarschaft für zwei der größten Migrantenpopulationen Hollands – den Türken und Marokkanern – sowohl Herausforderung als auch Chance für den Umgang mit Bilingualität bedeutet. Angenommen wird, dass die holländische und herkunftsbezogene Sprachpraxis je nach ethnischer Zusammensetzung der Nachbarschaft und je nach Generationenstatus unterschiedlich stark beeinflusst werden. Ein hoher Migrantenanteil in der Nachbarschaft bietet für Migranten der ersten Generation demnach weniger Anreize und Gelegenheiten, die holländische Sprache zu lernen und zu sprechen. Er erhöht aber gleichzeitig den Druck, die Herkunftssprache zu nutzen. Für Migranten der zweiten Generation, die aufgrund ihrer Sozialisation in Holland die Landessprache verwenden, bietet ein hoher Migrantenanteil hingegen die Chance, die Herkunftssprache zu erlernen und zu gebrauchen und die bilinguale Sprachpraxis zu fördern.
Die Autoren stellten fest, dass für Türken und Marokkaner der ersten Generation ein hoher Migrantenanteil in der Nachbarschaft mit einer weniger entwickelten holländischen und einer besseren herkunftsbezogenen Sprachpraxis verbunden ist. Auch Migranten der zweiten Generation verbessern sich in ihrer Herkunftssprache, wenn eine hohe ethnische Konzentration in der Nachbarschaft existiert.
Für Migranten der ersten Generation zeigt die Studie weiter, dass Kontakte mit Holländern trotz dem Kontakt zu Personen derselben Herkunftsgesellschaft zu einer Verbesserung der holländischen Sprachpraxis beiträgt. Ferner gibt die Berücksichtigung von Kontakten mit Migranten aus derselben Herkunftsgesellschaft zu erkennen, dass die ethnische Zusammensetzung der Nachbarschaft vor allem indirekt über zwischenmenschliche Beziehungen einen Einfluss auf die Sprachpraxis von Türken und Marokkanern hat.
Da die Befunde lediglich eine Momentaufnahme sind, können keine Hinweise auf ein Ursache-Wirkung-Verhältnis geliefert werden. Wirkt sich etwa eine hohe ethnische Konzentration wirklich positiv auf die herkunftsbezogene Sprachpraxis von Migranten aus oder ziehen Migranten in Wohnumgebungen mit hohem Migrantenanteil? Inwiefern die eine, die andere oder beide Möglichkeiten zutreffen, kann mit der Studie von Vervoort und Kollegen nicht beantwortet werden und muss in zukünftigen Vorhaben erforscht werden.
Vervoort, M., Dagevos, J., & Flap, H. (2012). Ethnic concentration in the neighbourhood and majority and minority language: a study of first and second-generation immigrants. Social Science Research, 41(3), 555-569.